Gib dem Heiligen Geist eine Chance
3. Juni 2022Manchmal erkennen wir, dass es tiefgehende Veränderungen im eigenen Leben braucht. Zugleich machen wir die Erfahrung, dass unsere eigenen Bemühungen knapp unter der Oberfläche stecken bleiben. Ist das ein Grund zu verzagen. Sicher nicht, denn wir dürfen zutiefst auf das Wirken den Heiligen Geist und sein Wirken vertrauen.
Fragebogen
Das Eisbergmodell
Mich hat bereits in der Schule im Psychologieunterricht das Eisbergmodell fasziniert. Ich habe damals schon gespürt, dass ich mein Handeln nicht vollständig dadurch erklären kann, was mir an Motivation bewusst ist. Wie sich der Eisberg der Großteil unter der Wasseroberfläche befindet, befindet sich der Großteil meiner Motivationen auch unter der Ebene meines alltäglichen Bewusstseins. Wohl habe ich die Erfahrung gemacht, wenn ich mich mir selbst gegenüber öffne, tauche ich gleichsam unter die Wasseroberfläche und mir wird ein Teil meiner sonst unbekannten Motivationen bewusst.
Schmerzhaft bewusst werden mir diese unter der Oberfläche verborgenen Motivationen, wenn sie im unpassendsten Moment auftauchen. Da kann ich explodieren, obwohl ich selbst im Nachhinein feststellen muss, dass der andere gar nichts gemacht hat, was „rein logisch“ so einer Reaktion verdient hätte.
Und wenn ich an mich selbst arbeite – so habe ich manchmal den Eindruck – kann ich auch nur das verändern, was sich über oder knapp unter der Oberfläche meines Bewusstseins zeigt.
Und diese Erfahrung mache ich auch mit vielen religiösen Riten.
Stell Dir so einen Eisberg mal vor – oder zeichne ihn auf, wenn Du etwas Zeit hast. Und jetzt erinnere Dich zurück an „religiöse“ Ereignisse Deiner Vergangenheit. Gebete, Messbesuche, Vorträge, Wochenenden, Firmvorbereitung, Firmung, … und versuche einmal nachzuspüren, wie tief die Veränderungen waren, die diese Ereignisse ausgelöst haben.
Die Frage lautet nun: Wie viel unserer religiösen Formation, sowohl im Religionsunterricht als auch in unsere Pfarren verschwenden wir auf seichte, kosmetische Veränderungen und bleiben dem Kern unseres Wesens so fern.
Das drückt sich zum Beispiel darin aus: Wir lehren die Menschen über Jesu Leben anstelle sie zu lehren wie Jesus zu leben – weil wir selbst nur über sein Leben gehört haben und nicht wie er zu leben.
Das Problem ist nicht neu
Dieses Problem hat zu allen Zeiten bestanden. Ja, ich glaube das Jesus bei manchen seiner Zeitgenossen schon die Tendenz erkannt hat, die notwendige Veränderung des eigenen Seins durch die Einübung religiöser Vorschriften zu ersetzten. Kehrt um! Denkt um! Ruft er uns Menschen immer noch zu.
Die Weisungen Gottes sind Weisungen zum Leben. Ihre buchstabengetreue Erfüllung kann mich aber von der transformierenden Kraft der Begegnung mit Gott fernhalten.
Nehmen wir zum Beispiel Paulus. Nicht das getreue Befolgen der Regeln, sondern die Begegnung mit Christus formen sein Leben. Deswegen hätte er die Gebote Gottes nie aufgegeben. Er hat nur aufgehört – so glaube ich würde es Paul Watzlawik sagen – die Speisekarte mit dem Essen zu verwechseln.
Ich bin vor kurzem über einen Kommentar zum Galaterbrief gestoßen, in dem die Kritik des Paulus genau so gedeutet wird.
Paulus hat den Menschen Christus und den sogenannten „Neuen Weg“ verkündet (in Klammer sage ich dazu, aus dieser Formulierung können wir auch erkennen, dass es nie um Einzelereignisse wie die Taufe, die Firmung ja sogar ein Bekehrungserlebnis gegangen ist, sondern die Formulierung „Neuer Weg“ zeigt ja dass es sich um eine Veränderung Schritt für Schritt handelt. Du bist mit Deiner Firmung also alles andere als am Ende Deiner Formation angekommen – Klammer wieder zu).
Also, Paulus hat den neuen Weg verkündet und die Menschen haben begonnen, den neuen Weg zu gehen, aber plötzlich sind andere „Lehrer“ aufgetreten und haben den Gläubigen ein neues Evangelium vorgelegt.
Ich habe das immer so gedeutet – weil ich selbst so bin – dass der neue Weg halt schnell fad geworden ist und die Gläubigen in Galatien was Neues ausprobieren wollten. Sie haben also nicht richtig Wurzeln geschlagen.
Aber nachdem ich den Galaterbrief weitergelesen habe, musste ich der mir neuen Deutung recht geben. Für Rich Villodas haben sich Irrlehrer eingeschlichen, die den neugewonnen Christen die jüdischen Gebote aufzwingen wollen. Dabei sind jetzt nicht die Gebote das Problem, sondern das Bestreben, die lebendige Christusbeziehung, die das Leben der Gläubigen von Innen nach Außen prägen soll, durch das Erlernen äußerer Riten, von außen nach innen prägen zu wollen. Im Zusammenhang mit den Speisevorschriften sagt Jesus auch: Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.
Es geht hier nicht um eine oberflächliche Kritik am Judentum, sondern um das Aufzeigen, dass ich mich, um mich einer inneren Transformation zu entziehen, bereit bin, zur Beruhigung meines Gewissens, äußerliche Regeln auf mich zu nehmen.
Und wenn es dir stinkt, jeden Sonntag zu Kirche zu gehen, wenn Du gar nicht auf die Idee kommen würdest, am Sonntag in die Kirche zu gehen, dann weil es nie darum gegangen ist, zu Kirche zu gehen, um zur Kirche gegangen zu sein.
Auch auf die Gefahr hin, dass Du den Vergleich schon 100 mal gehört hast: Du wirst genausowenig zum Christen, nur weil du am Sonntag in der Kirche warst, wie Du auch nicht zum Auto wirst, nur weil Du in der Garage warst.
Warum wir den Heiligen Geist brauchen
Wenn man nun beides zusammennimmt, a) Eisberg und b) meine Transformationsbedürftigkeit also wenn man zusammenführt, dass ich der Veränderung bedarf, aber aus eigenen Kräften nicht besonders tief komme, sondern bestenfalls knapp unter die Oberfläche tauche, bin ich dann nicht schon verloren?
Nein, im besten Fall dämmert mir langsam, warum ich den Heiligen Geist brauche.
D.h. ich reserviere mir Zeit, wo ich mich dem Heiligen Geist hinhalte, damit er in der Tiefe meines Wesens heilt und bewegt.
Und hier wird es für den rational denkenden Menschen schwierig, denn aus dem Gesagten folgt ja, dass ich das Wirken des Heiligen Geistes nicht merken kann, weil er ja gerade in einer Tiefe meines Wesens handelt, in die ich gar nicht hinabtauchen kann.
Woher weiß ich dann, dass ich nicht meine Zeit verschwende?
Keine Angst, ich sage jetzt nicht: Dass musst Du jetzt glauben.
Nein, dass ist der Punkt, wo die Früchte des Heiligen Geistes ins Spiel kommen. Ich habe einen kleinen Fragebogen vorbereitet. Für jede der Früchte des Heiligen Geistes frage Dich, wie häufig Du in diesem Zustand bist. (Fragebogen siehe oben)
Und wenn Du den Heiligen Geist hast sagen wir ein Jahr wirken lassen, dann kannst Du den Test wiederholen und kannst selbst feststellen, ob es Zeitverschwendung war oder nicht. Besser ist es natürlich noch, wenn Du den Fragebogen von jemanden anderen ausfüllen lässt (Ehefrau, Kinder, Eltern … jemand, der Dich gut kennt und viel Zeit mit Dir verbringen „muss“). Diese Menschen werden oft sensibler sein für die Veränderungen als Du selbst.
Dass heißt Du reservierst eine halbe Stunde Deiner besten Zeit jeden Tag für das Sein vor Gott. D.h. in dieser halben Stunde liest Du kein Buch, (schaust kein Video, checkst keine social medias, hörst keine Musik, räumst nicht endlich Dein Zimmer auf,) sondern tust gar nichts. Du kannst die Bitte „Komm, heiliger Geist“ fortwährend wiederholen. Und wenn Du merkst, dass Dein Herz davon gelaufen ist, d.h. dass Deine Gedanken um irgendein anders Thema kreisen, dann führe Dein Herz behutsam in die Gegenwart Gottes zurück. Der Heilige Franz von Sales schreibt dazu:
Wenn dein Herz wandert oder leidet, bring es behutsam an seinen Platz zurück und versetze es sanft in die Gegenwart deines Herrn. Und selbst wenn du in deinem Leben nichts anderes getan hast, außer dein Herz zurückzubringen und wieder in die Gegenwart unseres Gottes zu versetzen, obwohl es jedes Mal wieder fortlief, nachdem du es zurückgeholt hattest, dann hast du dein Leben wohl erfüllt.
365 x 0,5 dass sind 182,5 Stunden – dass ist kein geringer Einsatz dafür, wenn Du am Ende des Jahres feststellst, dass es Zeitverschwendung war.
Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass Du schon viel früher Auswirkungen dieser Praxis feststellen kannst:
- Sofortige Erfahrungen der Früchte des Heiligen Geistes: bevor Du beginnst, warst Du total unruhig, aber nach der halben Stunde spürst Du inneren Frieden
- Apropos Zimmer zusammenräumen: Wenn Du während der halben Stunde den Wunsch immer wieder verspürst, dein Zimmer / deine Wohnung zusammenzuräumen, dann wirst Du Dir hoffentlich bald endlich die Zeit nehmen um Ordnung in Dein Leben zu bringen. Das ist dann nicht das Wirken des Heiligen Geistes, sondern Dein Beitrag, aber es wirkt sich genauso positiv auf Dein Leben aus. Und wenn die 182,5 Stunden dazu führen, dass Dein ganzes Leben geordneter wird, dann waren sie sicher nicht umsonst, auch wenn du sonst wirklich keine Veränderung wahrnehmen kannst.
- Vielleicht werden Dir auch Verletzungen (neu) bewusst und Du fasst den Mut, mit Hilfe einer Psychotherapeutin oder eines Psychotherapeuten, diese Wunde in Deinem Leben anzugehen. Das Gebet ersetzt nicht die Psychotherapie, aber es kann Dir die Kraft verleihen, diesen Weg zu gehen.